Im Koran heißt es: "Und sprich zu den gläubigen Frauen, daß sie ihre Blicke niederschlagen
und ihre Scham hüten und daß sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen
ist, und daß sie ihren Schleier über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten
zeigen oder..."(1)
Für gläubige Moslems bedeutet dieses Wort des Propheten Mohammed, daß
Frauen sich außerhalb der Familie nur verschleiert zeigen dürfen. In der Auslegung durch
manche Koranschulen wird diese Forderung zum zwingenden Gesetz, das zumindest für alle
Mädchen ab dem Beginn der Pubertät gilt. Manche moslemischen Mädchen wollen nach
diesem Gebot ihrer Religion auch in der deutschen Schule handeln. Von den daraus
entspringenden rechtlichen (und pädagogisch/menschlichen) Problemen handelt der folgende
Beitrag.
Auch andere Religionsgemeinschaften und Sekten unterwerfen ihre Anhänger einem ähnlich
rigiden Verhaltenskodex, der strikt zu beachten ist. So leiten fromme Juden oder auch manche
christlichen Gruppierungen aus dem alten Testament Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften
ab, die ebenso streng sind wie die für gläubige Moslems. In der Regel sind es die Frauen, die
stärker von solchen religiös begründeten Pflichten betroffen werden. Zwangsläufig wirken sich
die strengen Gebote auf das Verhalten während des Schulbesuchs aus.
Wie wichtig die Lösung dieser Probleme ist, mag ein Blick nach Frankreich im Jahr 1990
zeigen. Damals war es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, nachdem ein Schulrektor
einer aus Algerien stammenden Schülerin verboten hatte, während des Unterrichts den
Hedschab (ein über die Schultern reichendes Kopftuch) zu tragen. In Frankreich mit seinem
vollkommen laizistischen öffentlichen Schulsystem sind die Abgrenzungen zwischen Kirche
und Staat zweifellos deutlicher als in den Ländern der Bundesrepublik. An einer öffentlichen
Schule in unserem Nachbarland wäre auch ein gemeinsames Schulgebet oder ein Kruzifix im
Klassenzimmer unzulässig, während dies - zumindest für die Grund- und Hauptschulen in
Baden-Württemberg, die nach der Landesverfassung christliche Gemeinschaftsschulen sind -
als selbstverständlicher Teil der Schulwirklichkeit gilt.
Auch in Deutschland bestehen aber durchaus Konfliktpotentiale, da die Schulen trotz ihrer
mehr oder minder starken christlichen Prägung grundsätzlich zur religiösen und
weltanschaulichen Neutralität verpflichtet sind. Solche Konflikte entstehen besonders in
Schulen und Klassen mit einem hohen Anteil an ausländischen Schülern.
Konflikte zwischen geschützten Rechtsgütern
Die beiden in der Praxis bedeutsamsten Fragen sind, ob Schülerinnen während des Unterrichts
ein Kopftuch tragen dürfen und ob Schülerinnen aus religiösen Gründen vom Sportunterricht
ganz oder teilweise befreit werden können. Hier soll die gegenwärtige Rechtslage dargestellt
und daran aufgezeigt werden, wie in der Schule mit diesen Fragen umgegangen werden kann.
Der Konflikt zwischen dem Verlangen der einzelnen, ihrer Religion entsprechend zu leben und
dem Interesse des Staates, das Schulsystem für alle gleich zu gestalten, ist schon auf der
höchsten Ebene des Rechts, der Verfassung, gegeben:
Die Glaubensfreiheit
Das Grundgesetz (GG) garantiert in Artikel 4 die Glaubensfreiheit. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichtes beinhaltet diese nicht nur die innere Freiheit jedes Menschen,
zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, diesen Glauben zu manifestieren, zu bekennen
und zu verbreiten(2)
.
Obwohl auch das Grundgesetz eindeutig auf einer
christlich-abendländischen Tradition begründet ist, gilt das Menschenrecht des Art.4 GG
selbstverständlich auch für Anhänger nicht-christlicher Religionen. Auf die Zahl der Anhänger
einer solchen Religion kommt es dabei ebensowenig an, wie auf die "Rationalität" ihrer
Inhalte. Staatlichen Instanzen steht es nicht zu, über die "Religionswürdigkeit" einer
Gemeinschaft zu entscheiden.
Dennoch muß der Kreis der "Religionen", die von Art.4 GG geschützt werden, abgegrenzt
werden. Andernfalls wäre jede Gruppe von Gleichgesinnten eine potentielle "Religion", etwa
auch eine Aktiengesellschaft. Das Abgrenzungskriterium ist dasselbe, was den von Art.4 GG
geschützen "Glauben" des einzelnen Menschen von einer bloßen Meinung unterscheidet:
nämlich das transzendente Moment. Von Art.4 GG wird der Glaube des Menschen an einen
"Weltgrund" geschützt. Wesensmerkmal einer Religion ist neben diesem gemeinsamen
Glauben, daß sie den Gläubigen eine Abgrenzung zwischen "gut" und "schlecht" ermöglicht.
Eine solche moralische Unterscheidung ist auch ohne den Glauben an ein "höchstes Wesen"
irgendeiner Art möglich, daher sind auch sogenannte "Weltanschauungsgemeinschaften" von
Art.4 GG geschützt. Auch der Atheismus ist in diesem Sinne ein schützenswerter "Glaube". Es
kommt nicht darauf an, ob man diesen Schutz aus einer "negativen Glaubensfreiheit" - also der
Freiheit, nicht zu glauben - ableitet, oder daraus, daß auch der Glaube an nichts ein Glaube ist.
Es ist somit ein Wesensmerkmal jeder Religion und Weltanschauung, daß sie ihren Anhängern
bestimmte Verhaltensregeln vorschreibt, die mehr oder weniger strikt zu befolgen sind. Die
ebenfalls in Art.4 GG enthaltene Bekenntnisfreiheit garantiert jedem Menschen das Recht, sein
gesamtes Verhalten an diesen Lehren seines Glaubens auszurichten. Grundsätzlich ist damit
auch das Recht geschützt, sich in einer bestimmten Weise zu kleiden, wenn die Religion eine
solche Art der Kleidung verlangt.
Die Grundrechte des Art.4 GG werden nach seinem Wortlaut schrankenlos gewährt. Anders
als z.B. die Versammlungs- oder die Meinungsfreiheit, kann die Religionsfreiheit nicht durch
einfache Gesetze beschränkt werden. Hierin liegt übrigens der Unterschied zwischen der
deutschen und der französischen Verfassungsordnung: In Frankreich gilt wegen der strikten
Trennung zwischen Kirche und Staat das Recht auf Bekenntnisfreiheit in staatlichen
Institutionen eben nicht oder nur sehr eingeschränkt. Demgegenüber gewährt Art.4 GG den
Schülerinnen und Schülern das Recht, auch in der Schule die Gebote ihrer Religion zu
befolgen.
Das Elternrecht
Daneben steht das in Art.6 II GG enthaltene - ebenfalls schrankenlos gewährte - Recht der
Eltern, ihre Kinder nach ihren Vorstellungen zu erziehen. Dieses Recht der Eltern erlischt
allerdings mit dem Eintritt der Religionsmündigkeit der Kinder, also mit 14 Jahren. Ab diesem
Zeitpunkt haben alleine die Kinder das Recht, über ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Religionsgemeinschaft zu entscheiden. Konsequenterweise können ab diesem Zeitpunkt auch
nur die Kinder darüber entscheiden, ob und welche Verhaltensnormen dieser
Releigionsgemeinschaft sie befolgen wollen. Das heißt aber dennoch nicht, daß die Kinder
auch für die Durchsetzung ihrer Rechte auf sich alleine gestellt wären. Aus dem allgemeinen
Erziehungsrecht gemäß Art.6 II GG wird vielmehr ein Recht der Erziehungsberechtigten
abgeleitet, ihre Kinder auch in diesen Angelegenheiten zu vertreten und zu unterstützen, sofern
sie dem Willen der Kinder entsprechend handeln.
Dennoch liegt es auf der Hand, daß auch diese Rechtspositionen nicht völlig unbeschränkbar
sind. Es sind z.B. weder religiös motivierte Menschenopfer zulässig, noch können brutale
Mißhandlungen von Kindern durch ihre Eltern unter Berufung auf religiöse Gebote
gerechtfertigt werden. Zu beachten ist hier wie bei jeder Grundgesetzbestimmung, daß jedes
Grundrecht durch die Verfassung selber beschränkt ist: durch die Grundrechtspositionen
anderer Menschen ebenso wie durch die anderen von der Verfassung geschützen
Rechtspositionen.
Das Recht der staatlichen Schule
Zu diesen Rechtspositionen gehört auch der in Art.7 I GG garantierte Bildungsauftrag des
Staates. Der Staat hat danach die Pflicht, ein Schulsystem zu schaffen und das Recht, für
dieses Schulsystem bestimmte Erziehungs- und Bildungsziele festzulegen. Wesentlicher
Bestandteil des staatlichen Schulsystems ist die allgemeine Schulpflicht, zu der in allen
Bundesländern auch die Pflicht zur Teilnahme am Sportunterricht gehört.
Der Religionsvorbehalt im Schulbereich
In einer pluralistischen Gesellschaft wie der Bundesrepublik sind Konflikte zwischen den
Erziehungszielen der Eltern und denen des Staats unvermeidbar, da in den
Gemeinschaftsschulen nicht jedem Elternwunsch Rechnung getragen werden kann. Für die
religiöse Erziehung scheint Art.7 II GG eine Ausnahme zu enthalten: Danach können alleine
die Erziehungsberechtigten bzw. die religionsmündigen Kinder über die Teilnahme am
Religionsunterricht entscheiden. Das bedeutet aber nicht, daß die staatlichen Erziehungsziele
und die Schulordnungen hinter jedem für die Schüler geltenden religiösen Gebot zurücktreten
müßten. Vielmehr sind die Rechte des Staates aus Art.7 I GG ebenso unbeschränkt wie das
elterliche Erziehungsrecht und haben daher denselben Rang.
Kopftuch und koedukativer Schwimmunterricht
Wenn der Staat in den Schulen andere Ziele verfolgt als die Eltern, dann muß also ein
Ausgleich gefunden werden, in dem die jeweiligen Rechtspositionen möglichst weitgehend
gewahrt bleiben. Dasselbe gilt, wenn Schüler sich aufgrund ihrer Religion nicht den Normen
des staatlichen Schulwesens unterwerfen wollen. Der Freiburger Staatsrechtslehrer und
frühere Bundesverfassungsrichter
Konrad Hesse
hat für diese Abwägung von grundgesetzlich
geschützen Rechtspositionen den Begriff der "Praktischen Konkordanz" geprägt, der von der
Rechtsprechung übernommen wurde(3)
.
In den letzten Jahren haben die Gerichte sich immer wieder damit beschäftigen müssen, wie
diese praktische Konkordanz im Schulbereich hergestellt werden kann. Die Streitigkeiten
drehten sich in der Regel darum, unter welchen Voraussetzungen Schülerinnen die Teilnahme
am Sportunterricht aus religiösen Gründen verweigern können. Anhand der einschlägigen
Rechtsprechung, die im folgenden dargestellt werden soll, lassen sich Grundsätze
herausarbeiten, die auch für die Lösung anderer Konflikte zwischen religiös motiviertem
Verhalten und den Regeln des staatlichen Schulsystems gelten.
Vorweg sei auf einen besonderen Umstand hingewiesen: Aus Baden-Württemberg sind bislang
keine Entscheidungen der zweiten Instanz, des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Mannheim,
zu dieser rechtlichen Problematik bekannt. Hieraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß
sich - weil das Schulrecht bekanntlich Ländersache ist - die von den Gerichten der anderen
Bundesländer entwickelten Grundsätze nicht auch auf das baden-württembergische
Schulsystem übertragen lassen. Denn die Grundlage für die Urteile in anderen Ländern war
nicht das jeweilige Landesschulrecht, sondern die Bundesverfassung. Das Grundgesetz, das in
Baden-Württemberg selbstverständlich ebenso gilt, wie in allen anderen Ländern, zwingt zu
einer bestimmten Auslegung des Landesschulrechtes. Insofern sind die Entscheidungen aus
anderen Ländern sehr wohl auch für Baden-Württemberg relevant.
Befreiung vom Sportunterricht
Im ersten Fall ging es um Mitglieder der "Palmarianischen Kirche", die bei einer bayerischen
Schule erfolglos die Befreiung ihrer Tochter vom Sportunterricht beantragt hatten. Die
"Palmarianische Kirche" ist eine strang katholische Glaubensgemeinschaft, die die
nachkonziliarische Entwicklung der römisch-katholischen Kirche strikt ablehnt. Frauen dürfen
nach den Vorschriften dieser Kirche keinesfalls Hosen tragen. Kein Kirchenmitglied darf eine
Badeanstalt betreten, wenn dort "unanständige Bekleidung" getragen wird. Dieses Verbot gilt
sogar für den Fall, daß das Baden zu Heilzwecken verordnet wurde.
In Bayern ist, wie in allen Bundesländern, die Befreiung vom Sportunterricht vor allem aus
gesundheitlichen Gründen zulässig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in
München(4)
hat zunächst festgestellt, daß für die Befreiung vom Sportunterricht dasselbe gilt,
wie für die Befreiung von jedem anderen Unterricht: Sie ist nur zulässig, wenn ein wichtiger
Grund vorliegt; die Befreiung ist aber nicht nur wegen gesundheitlicher Beschwerden möglich.
Der Bayerische VGH hat weiterhin klargestellt, daß Art.4 GG keine theologische Wertung
durch staatliche Instanzen zuläßt, und damit den Einwand der Schulbehörden als falsch
zurückgewiesen, Art.4 GG schütze nicht die "Narrenfreiheit". Das Gericht führte aus, auch
Sektierer könnten sich auf dieses Grundrecht berufen. Es komme nicht darauf an, daß alle
Anhänger einer bestimmten Religion ein Gebot in gleicher Weise befolgten. Das 5. Buch Mose
(22,5) enthalte die Forderung, daß Frauen keine Männerkleidung tragen dürfen. Von den
Palmarianern werde diese Forderung als Gesetz ausgelegt, das unbedingt zu befolgen sei. Bei
der Bekleidungsvorschrift handele es sich nicht lediglich um eine bloße Äußerlichkeit, etwa
eine Tracht.
Das Gericht hat weiterhin untersucht, ob die in diesem Fall betroffene Schülerin sich auch
sonst nach den Regeln ihrer Religion verhalte. Damit ist einer der wesentlichsten Grundsätze
für die Zulässigkeit von religiös begründeten Sonderregelungen in der Schule klargestellt
worden: Es reicht keineswegs aus, wenn eine Schülerin, ein Schüler oder die Eltern sich auf
ein einzelnes religiöses Gebot berufen, das ein bestimmtes Verhalten erzwinge. Notwendig ist
vielmehr, daß die Betroffenen auch sonst ihr Verhalten an den religiösen Bestimmungen
ausrichten.
Für die Entscheidung, ob die Befreiung vom Sportunterricht von den Schulbehörden zu Recht
verweigert worden war, mußte der Bayerische VGH schließlich noch die "praktische
Konkordanz" mit dem staatlichen Recht auf Erfüllung der Schulpflicht herstellen: Er stellte
fest, es habe kein milderes Mittel gegeben, durch das die Schülerin ohne Verletzung der
religiösen Gebote am Sportunterricht hätte teilnehmen können. Wenn sie einen Rock statt
einer Hose getragen hätte, wäre das Unfallrisiko untragbar groß geworden. Die bloße
Anwesenheit der Schülerin während des Sportunterrichts wäre nach Ansicht des Gerichts auch
keine sinnvolle Alternative gewesen. Wegen des absoluten Charakters des Gebotes, spiele es
auch keine Rolle, ob der Unterricht koedukativ oder nach Geschlechtern getrennt erteilt
werde.
Vor allem aber sei die Teilnahme am Sportunterricht für den schulischen Erfolg nicht
unabdingbar: Die Schulbesuchsverordnung ermögliche die dauernde Befreiung vom
Sportunterricht aus gesundheitlichen Gründen, ohne daß dies Auswirkungen auf die
Versetzung in die nächste Klasse habe. Dann müsse eine Ausnahme von der Pflicht zur
Teilnahme am Sportunterricht auch aus anderen wichtigen Gründen zulässig sein.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat der VGH München entschieden, daß die
Schulbehörden, das Mädchen vom Sportunterricht befreien mußten (vgl. auch
schul-management 2/1989, S.11).
Koedukativer Sportunterricht
Im selben Jahr hatte der VGH Kassel über die Klage eines 15-jährigen Mädchens zu
entscheiden(5)
.
Bei dieser Klage ging es in erster Linie um die Entscheidung der Schule, das
Mädchen herabzustufen, nachdem ihre Leistungen im vergangenen Schuljahr immer weiter
abgefallen waren. Das Mädchen berief sich unter anderem darauf, daß sie als Angehörige der
Ahmaddiyya, einer orthodoxen islamische Sekte, nicht in Sportkleidung am koedukativen
Sportunterricht hätte teilnehmen könne und daher ausgegrenzt und benachteiligt worden wäre.
Auch wenn die Klage insgesamt erfolglos war, hat der VGH Kassel in seinem Urteil darauf
hingewiesen, daß die Schülerin vom Sportunterricht hätte befreit werden müssen. Das Gericht
berief sich dabei auf die Aussage des religiösen Betreuers der Schülerin, wonach für Frauen
der Ahmaddiyya die Teilnahme am Sportunterricht zwar nicht generell verboten sei, aber
zumindest dann, wenn Sportbekleidung getragen werden müsse und der Unterricht koedukativ
stattfinde.
Dieses Urteil macht deutlich, daß es durchaus Abstufungen gibt. Wäre der Sportunterricht in
diesem Fall nach Geschlechtern getrennt erteilt worden, hätte es eben keinen Grund gegeben,
die Schülerin von der Teilnahme zu befreien.
Westliche Maßstäbe unerheblich
Im April 1991 hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg über die Klage des Imams
der türkisch-islamischen Gemeinde Hannover zu entscheiden, mit der dieser die Befreiung vom
Sportunterricht für seine fünf Töchter erreichen wollte(6)
.
Das Gericht hat zunächst festgestellt,
daß auch bei religionsmündigen Kindern die Erziehungsberechtigten noch zur Klage befugt
sind, sofern sie im Einklang mit dem Willen der Kinder handeln - wie dieser Wille festgestellt
werden soll, wurde allerdings nicht gesagt; interessanterweise stützte sich das OVG
insbesondere darauf, daß der Kläger als Imam seine Töchter zur Befolgung der religiösen
Vorschriften erzogen habe; dabei sagt das alleine doch noch nichts darüber aus, ob diese
Erziehung auch zum gewünschten Erfolg geführt hat! Auch hier wieder zog das Gericht
wiederum Aussagen von religiösen Autoritäten heran. Es betonte, daß die Auslegung des
Koran durch die Koranschule, der die Schülerinnen angehören vom Gericht nicht überprüft
werden könne. Entscheidend sei, daß die Bekleidungsvorschriften nach dieser Auslegung des
Koran verbindlich und nicht bloße Äußerlichkeiten seien. Unzulässig sei es insbesondere, diese
Verhaltensregeln an westlichen Maßstäben von Gleichberechtigung zu messen. Da die
Funktionsfähigkeit der Schule nicht beeinträchtigt sei, müsse der Klage stattgegeben werden.
Koedukativer Schwimmunterricht
Noch deutlicher wurde dann das OVG Münster(7)
.
Hier ging es um die Teilnahme einer
moslemischen Schülerin am koedukativen Schwimmunterricht in der Grundschule. Das
Gericht betonte zunächst nochmals, daß es nicht ausreiche, sich auf irgendwelche angeblichen
religiösen Vorschriften zu berufen. Für die völlige oder teilweise Befreiung vom
Sportunterricht müsse nicht nur die Existenz einer verbindlichen Religionsvorschrift
nachgewiesen werden, sondern auch, daß der oder die Betroffene sich auch sonst an die
Gebote der Religionsgemeinschaft halte.
Im konkreten Fall hatten die Schulbehörden argumentiert, daß für Moslems die Regeln des
Koran angeblich in nicht-islamischen Ländern nicht verbindlich seien. Das Gericht hat aber
zunächst klargestellt, daß die Mehrzahl der Koranschulen ausdrücklich die Pflicht jedes
Moslems betone, auch im Ausland diese Gebote einzuhalten. Dies sei aber ohnehin irrelevant:
Da Art.4 GG auch ultraorthodoxe Sektierer schütze, komme es alleine darauf an, ob der oder
die im Einzelfall Betroffene sich durch den Koran gebunden fühle. Nicht das Verhalten des
"durchschnittlichen Moslems" in Deutschland sei maßgeblich, sondern nur, daß diese spezielle
Schülerin die strengen Verhaltensregeln befolge.
Das OVG Münster setzte sich dann mit der Frage auseinander, ob es von Bedeutung sein
kann, daß im Islam, wie in fast allen Religionsgemeinschaften regelmäßig Mädchen und Frauen
besonders strengen Regeln unterworfen werden. Es betonte, wie schon das OVG Lüneburg,
daß westliche Maßstäbe von Gleichberechtigung eben nicht gelten. Die gesellschaftlichen
Folgen eines an strengen religiösen Geboten ausgerichteten Verhaltens seien von denen, die
diese Gebote befolgen wollen, hinzunehmen. Die Befreiung vom koedukativen
Schwimmunterricht dürfe daher nicht deswegen verweigert werden, weil die Betroffenen
dadurch in der Schule möglicherweise zu Außenseitern würden. Gleichermaßen könne es
Schülerinnen auch nicht verwehrt werden, im Unterricht den Hedschab zu tragen.
Die weltanschauliche Neutralität der Staatsschule
Auf ein Problem sind die Gerichte bislang nicht eingegangen: Das deutsche Schulsystem soll
grundsätzlich religiös und weltanschaulich neutral sein; dies gilt prinzipiell auch für "christliche
Gemeinschaftsschulen" (obwohl diese Konstruktion von öffentlicher Schule mit religiösem
Charakter im weltanschaulich neutralen Staat einen überaus breiten juristischen Spagat
erzwingt). Deshalb ist z.B. in solchen christlichen Gemeinschaftsschulen - außer im
Religionsunterricht - zwar ein christliches (überkonfessionelles), aber kein konfessionelles
Schulgebet zulässig(8)
.
In den christlichen Gemeinschaftsschulen sind ferner christliche
Symbole durchaus zulässig (z.B. Kruzifix im Klassenzimmer; dabei soll in Baden-Württemberg
auf das "Empfinden beider Konfessionen geachtet" werden; das Empfinden anderer muß
demgegenüber offenbar zurückstehen(9)
).
Es widerspricht diesem Neutralitätsgebot, wenn in der Schule - außerhalb des konfessionellen
Religionsunterrichts - für eine bestimmte Religionsgemeinschaft oder Weltanschauung
geworben wird. Schon das Tragen bestimmter Kleidungsstücke kann nach der Rechtsprechung
bereits Werbungscharakter haben. Aus diesem Grund wurde es Lehrern z.B. untersagt, in der
Schule die für Anhänger des "Bhagwan" typische rote Kleidung und die "Mala" zu
tragen(10)
.
Diese Rechtsprechung ist nicht ohne Grund sehr umstritten. Da das entscheidende
Argument aber die angebliche Vorbildfunktion der Lehrer ist, kann unterstellt werden, daß das
Verhalten oder die Kleidung der Schülerinnen und Schüler das Neutralitätsgebot nicht verletzt.
Der konkrete Umgang mit dem Problem
Wie ist jetzt in der Schulwirklichkeit zu verfahren? Zunächst einmal gilt: Es gibt eine
allgemeine Schulpflicht; das ist eine soziale Errungenschaft und eine der Grundlagen des
Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Wie jede allgemeine Pflicht mutet diese Schulpflicht
dem einzelnen zu, bestimmte Lasten und Anstrengungen auf sich zu nehmen; in seine Rechte
(z.B. auch das Erziehungsrecht der Eltern) wird eingegriffen. Von der Befolgung dieser
allgemeinen Pflicht muß der einzelne entbunden werden, soweit seine Rechte sonst
unzumutbar eingeschränkt würden. Im übrigen haben alle Schülerinnen und Schüler alle für sie
vorgeschriebenen Unterrichts- und sonstigen Schulveranstaltungen ausnahmslos zu besuchen.
Für einen großen Teil der Fälle gibt die Schulbesuchsverordnung (unter diesem Stichwort im
GEW-Jahrbuch abgedruckt) unmittelbare Vorschriften her. So sind dort z.B. für bestimmte
religiöse Bekenntnisse genau definierte Freistellungen vorgesehen. Interessant und
problematisch wird es überall dort, wo die Schulbesuchsverordnung keine genaue Vorschrift
enthält und die Schule trotzdem eine Entscheidung treffen muß.
Praktisch am bedeutsamsten ist die Befreiung vom Unterricht aus religiösen Gründen. Am
häufigsten sind Anträge auf Befreiung vom Schwimm- oder Sportunterricht. Vorstellbar sind
aber auch Anträge auf Befreiung von der Teilnahme anderen Unterrichtsfächern (etwa der
Geschlechtserziehung) oder für bestimmte Zeiten (religiöse Feiertage etc.).
Einschlägig für Unterrichtsbefreiungen ist § 3 der Schulbesuchsverordnung (unter diesem
Stichwort im GEW-Jahrbuch abgedruckt). Notwendig ist gemäß § 3 II der
Schulbesuchsverordnung ein schriftlicher Antrag der Erziehungsberechtigten. Bei
religionsmündigen Kindern können nach den oben geschilderten Grundsätzen sowohl die
Kinder als auch die Erziehungsberechtigten den Antrag stellen. Im zuletzt genannten Fall muß
aber geklärt werden, ob der Antrag auch dem Willen des Kindes entspricht. Diese Feststellung
kann im Einzelfall sehr schwierig werden. Es ist nämlich durchaus vorstellbar, daß
religionsmündige Kinder sich nur dem Willen der Eltern fügen, obwohl sie selber eigentlich
nicht nach deren religiösen Geboten leben wollen.
Nach § 3 I 1 der Schulbesuchsverordnung ist die Befreiung vom Sportunterricht dann
möglich, wenn der Gesundheitszustand eines Schülers dies erfordert. Aus Satz 2 dieser
Vorschrift ("Von der Teilnahme ... in einzelnen anderen Fächern ...") könnte geschlossen
werden, daß im Sport nur Gesundheitsgründe gelten, ein anderer Befreiungsgrund nicht
besteht. Der Sinn und Zweck dieser Norm zwingt aber dazu, sie so zu interpretieren, daß eine
solche Befreiung - wie bei allen anderen Schulfächern - ebenfalls auch in "besonders
begründeten Ausnahmefällen" zulässig ist. Sonst würde sich ja die Befreiung eines Schülers
wegen einer wichtigen Familienangelegenheit für einen ganzen Tag nicht auf den
Sportunterricht an diesem Tag erstrecken. Religiös begründete Verhaltens- und
Bekleidungsgebote zählen daher auch in Baden-Württemberg zu "besonders begründeten
Ausnahmefällen", die eine Befreiung vom Unterricht, auch vom Sportunterricht, ermöglichen
können.
Die baden-württembergische Kultusverwaltung hütet sich gegenwärtig sehr deutlich davor, in
dieser Frage schriftliche Auskünfte zu geben oder gar Erlasse oder Verwaltungsvorschriften
zu produzieren. Allgemeingültige Aussagen lassen sich nicht treffen. Die im folgenden
dargestellten Grundsätze sollen dabei helfen, im Einzelfall eine Entscheidung zu finden, die
allen Interessen gerecht wird.
Zunächst müssen die Schüler bzw. Eltern ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Religionsgemeinschaft sowie die Existenz eines Ge- oder Verbotes, das die Mitglieder dieser
Religionsgemeinschaft zu einem bestimmten Verhalten zwingt, nachweisen. Zunächst muß
also dargeklegt werden, daß die Angehörigen einer bestimmten religiösen Gruppe sich zu
einem bestimmten Verhalten verpflichtet fühlen; danach ist zu beweisen, daß die einzelne
Person dieses Verhalten auch praktiziert. Den Eltern bzw. der Schülerin oder dem Schüler
obliegt die Beweislast, daß sie auch sonst nach den Geboten der Religion leben. Zwei
Beispiele zur Illustration:
Ein Schüler, der über die Schulbesuchsverordnung hinaus an einem Feiertag seiner
Religionsgemeinschaft vom Unterricht befreit werden will, muß es sich zurechnen lassen,
wenn die anderen Mitglieder dieser Gemeinschaft in Deutschland die Feiertage auf den
nächsten Sonntag o.ä. verschieben.
Eine Schülerin, die die Befreiung vom Sportunterricht beantragt, da der Koran es Frauen
verbiete, "unzüchtige/index.htm" Kleidung zu tragen, ist nicht glaubwürdig, wenn sie nicht auch den
Hedschab trägt.
Angesichts der großen Zahl von Religionsgemeinschaften und Sekten gibt es oft keine
allgemeinverbindliche Auslegung der jeweiligen Gebote. Dies gilt insbesondere für den Islam,
der keine allgemeine religiöse Autorität kennt, wie dies im Christentum Päpste, Synoden oder
Landeskirchen sind. Für die Entscheidung der Schule maßgeblich ist die Auslegung durch die
religiösen Lehrer und Priester derjenigen Gemeinschaft, der die betroffenen Schüler
angehören. Wenn sich diese eindeutig äußern, muß die Schule das akzeptieren. Es steht der
Schule nicht zu, den Sinn eines bestimmten Gebotes zu werten und ihre Entscheidung hiervon
abhängig zu machen.
Geprüft werden muß dann, auf welche Weise den Schülern die Einhaltung der Gebote
ermöglicht werden kann. Dabei ist immer das mildeste Mittel zu wählen: Beim Sportunterricht
kommt es insbesondere darauf an, ob jede Sportart oder aber nur bestimmte (z.B.
Schwimmen) nicht ausgeübt werden darf. Auch muß möglicherweise unterschiedlich
entschieden werden, je nachdem ob der Unterricht koedukativ oder nach Geschlechtern
getrennt durchgeführt wird. In der Regel wird eine Befreiung nur für den Schwimmunterricht
erteilt werden müssen und nur dann, wenn dieser koedukativ erteilt wird oder Schülerinnen
und Schüler verschiedener Klassen im Schwimmbad aufeinandertreffen.
Vielen Lehrerinnen und Lehrern wird die folgende Einschränkung nicht gefallen, aber sie ist
verfassungsrechtlich geboten: Worauf es bei der Entscheidung nicht ankommt, sind die
gesellschaftlichen Folgen für die Kinder. Wer nach den Regeln einer bestimmten Religion
leben will, muß auch die negativen Folgen dieser Entscheidung tragen. Bei Kindern, die noch
nicht religionsmündig sind, haben hier die Eltern und nicht die Lehrer das letzte Wort. Es ist
das Recht eines jeden, nach seiner Façon selig zu werden oder auch unglücklich.
Dennoch zu beachten, sind die Folgen der Befreiung vom Unterricht auf den schulischen
Erfolg. Da alle anderen Fächer für den Schulabschluß bzw. die Versetzung mehr oder weniger
wichtig sind, kommt nur für den (nicht versetzungserheblichen) Sportunterricht eine generelle
Befreiung überhaupt in Frage. Die Vorschrift des Ministeriums für Kultus und Sport für die
Freistellung vom Sportunterricht (unter dem Stichwort "Sportunterricht/Freistellung" im
GEW-Jahrbuch abgedruckt) sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, daß statt einer Note ein
Freistellungsvermerk im Zeugnis eingetragen wird. Will eine Schülerin im Unterricht den
Hedschab tragen, dann ist dies jedenfalls dann zuzulassen, wenn ihr Hörvermögen nur
unwesentlich beeinträchtigt wird.
Abschließend muß die Schule prüfen, ob die Interessen der Mitschüler gewahrt sind. Bei einer
Befreiung vom Unterricht ergeben sich wohl keine Probleme. Will ein Schüler oder eine
Schülerin aber während des Unterrichts bestimmte religiös motivierte Handlungen vornehmen,
sind Konflikte durchaus möglich. Unproblematisch ist auch hier der Hedschab. Auch ein
gläubiger Moslem darf aber nicht während des Unterrichts die vorgeschriebenen Gebete in
Richtung Mekka sprechen, wenn er damit den Unterricht stört.
Diese Grundsätze können, wenn sie konsequent angewendet werden, zu einem vernünftigen
Interessenausgleich im Sinne der praktischen Konkordanz führen. Es liegt im pflichtgemäßen
Ermessen der Schule (das ist zunächst der einzelne Lehrer, dann die Schulleitung), im Fall der
hier diskutierten religiösen Kleidervorschriften oder der Teilnahme am Sportunterricht aus
religiösen Gründen über die Anträge zu entscheiden bzw. darüber, ob sie gegen ein
entsprechendes Verhalten der Betroffenen (z.B. Tragen eines Kopftuchs im Unterricht)
vorgehen oder dieses dulden wollen. Das Ermessen besteht nicht darin, daß die Schule
entscheidet, worin die Religionsfreiheit der Schülerin besteht, sondern darin, daß zwischen der
gesetzlichen Schulpflicht (Teilnahmepflicht am Unterricht sowie der schulischen
Notwendigkeiten) einerseits und der Religionsfreiheit andererseits abgewogen wird.
In der multikulturellen Gesellschaft der Bundesrepublik sind Konflikte, wie sie hier dargestellt
wurden, zwangsläufig. Früher gab es vor allem Reibungen zwischen der christlichen Prägung
der Schule und dem Willen der Eltern und Schüler nach größtmöglicher Neutralität.
Exemplarisch sind die Streitigkeiten um das Schulgebet(11)
oder das Kruzifix in Klassenräumen
von Gemeinschaftsschulen . Das Ergebnis dieser Streitigkeiten war eine immer deutlichere
Neutralisierung der Schule. Heute müssen die Schulen hingegen damit umgehen, daß ein
anderer Teil der Schüler und Eltern in der Schule eben nicht auf ihr Bekenntnis zu einer
bestimmten Religion verzichten wollen.
Eine Schule, die nach ihrem Bildungsauftrag zur Toleranz erziehen soll, muß solche Konflikte
allerdings ertragen können(12)
.
Gerade sie können dazu beitragen, daß dieser Bildungsauftrag
verwirklicht wird. Denn Toleranz kann man nicht im Labor lernen, sondern nur in der
tatsächlichen Konfrontation mit anderen Meinungen, Verhaltensweisen und Traditionen.
Alle Rechte beim Autor: johannes.rux@uni-tuebingen.de( johannes.rux@uni-tuebingen.de)
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1. Koran, Sure 24, Vers 31; zitiert nach der Übertragung von Max Henning, Stuttgart (Philipp Reclam jun.), 1989, S.332 zurück zum Text
2. BVerfGE 24,236,245 Urteil vom 16.10.68 und BVerfGE 32,98,106 Urteil vom 19.10.71 zurück zum Text
3. BVerfGE 41,29,51 Urteil vom 17.12.75 zurück zum Text
4. Urteil vom 6. Mai 1987 abgedruckt in der "Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht" (NVwZ) 1987, S.706 zurück zum Text
5. Urteil vom 3.9.87, NVwZ 1987, S.951 zurück zum Text
6. Urteil vom 26.4.91, NVwZ 1992, S.79 zurück zum Text
7. Urteil vom 12.7.91, NVwZ 1992, S.77 zurück zum Text
8. BVerfGE 52,223, Urteil vom 16.10.79 zurück zum Text
9. Erlaß des baden-württembergischen Kultusministeriums vom 9.11.1967; Amtsblatt Kultus und Unterricht S. 1260/1967; vgl. auch VGH München (NVwZ 1991, S.1099), Urteil vom 3.6.91 zurück zum Text
10. OVG Hamburg "Deutsches Verwaltungsblatt" 1985, S.456, Urteil vom 26.11.84; VGH München "Bayerisches Verwaltungsblatt" 1985, S.721, Urteil vom 9.9.85 zurück zum Text
11. s.o. Fussnote 8 zurück zum Text
12.
BVerfGE 52,223,252 Urteil vom 16.10.79 zurück zum Text
bildung & wissenschaft(http://www.bawue.gew.de/bildguwiss/index.html)